Tierwohl und Nutztierhaltung - wie geht das zusammen? Eine spannende digitae Diskussion bei den Grünen am Freitagabend.

Tierwohl und Nutztierhaltung: Wir haben den Pfad, wir müssen ihn nur gehen

Videokonferenz mit 38 Teilnehmer*innen

In einer intensiven digitalen Diskussion ging es bei uns um die Frage, wie Nutztierhaltung und Tierwohl zusammen gehen können. Mit dabei waren Fachleute wie Maria Heubuch, Bäuerin im Allgäu und ehemalige Europaabgeordnete, Claudio Di Simio, Vorsitzender des Tierschutzvereins Schramberg, Dr. Martin Armbruster, Geschäftsführer des Fachausschusses Vieh & Fleisch sowie Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für Höhenlandwirtschaft (AfH) beim Badischen Landwirtschaftsverband Martina Braun, Landtagsabgeordnete und Biolandbäuerin, Dr. Stefan Wesselmann, Tierarzt und Experte für Schweinegesundheit in der Hohenlohe sowie Dr. Cornelie Jäger, ehemalige Landestierschutzbeauftragte und Autorin. Moderiert habe ich diesen Abend, und ich habe auch gleich klar gemacht: „Es geht hier nicht darum, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen.“


So erläuterte Maria Heubuch zunächst die Borchert-Kommission, benannt nach dem ehemaligen Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert, die im April 2019 Land- und Fleischwirtschaft, Bauernverbände, Lebensmittelhandwerk, Parteien, Umwelt- und Tierschutzverbände, Tierärzte und Wissenschaftler an einen Tisch brachte. Gemeinsam suchte man nach Ansätzen, wie die teils sehr hohe Viehdichte, die zu hohen Nitrat- und Phosphatwerten und hohen Treibhausgasen, aber auch zu schlechter Tierhaltung führt, zu verbessern. Ein Problem: Das Tierwohl in der Nutztierhaltung steht in scharfem Kontrast zu der Förderpolitik, obwohl der Tierschutz seit 2002 in der Verfassung verankert ist. Die Kommission war sich einig, dass die Gesellschaft Landwirte unterstützen muss. Auch müssen die Kosten für tierfreundliche Haltung beziffert und diese massiv und verlässlich gefördert werden. Heraus kam das sogenannte „Borchert-Papier“, das den Weg in eine landwirtschaftliche Tierhaltung mit mehr Tierwohl aufzeigt.


Bessere Ställe, mehr Platz, und das für alle Nutztiere, das kostet. 2021 soll eine freiwillige Kennzeichnung für Tierwohl kommen, auch für Produkte, die landwirtschaftliche Erzeugnisse, beispielsweise Eier, enthalten, ab 2025 soll diese dann in der ganzen EU verpflichtend sein. Dazu, das haben die Experten ausgerechnet, braucht es Fördermittel: Bis 2025 3,6 Milliarden Euro. Und eine Verbrauchssteuer hat die Kommission vorgeschlagen, die bei 40 Cent pro Kilo Fleisch liegen soll, bei zwei Cent pro Kilo Milch und 15 Cent pro Kilo Käse – insgesamt würde das durchschnittlich 70 Cent pro Person pro Woche ausmachen und Steuereinnahmen von 3,5 Milliarden bringen. „Ich glaube, das ist vertretbar“, findet Maria Heubuch. Die Vorschläge der Kommission werden jetzt im Bundestag diskutiert, am Ende soll eine Art „implizierter Gesellschaftsvertrag“ stehen. Denn klar ist, dass Fleisch, Milch und Eier teurer werden, „wenn Tiere so gehalten werden, wie wir uns das als Gesellschaft und Landwirte wünschen.“ Wenn dies so nicht kommt, oder aber dann alles importiert werde, „dann braucht man nicht mehr diskutieren, wie das Tier gelebt hat, bevor es auf dem Teller landet!“
Ich habe dann deutlich gemacht, dass auch die Grünen im Land diesen Gesellschaftsvertrag im Wahlprogramm stehen haben.

Claudio Di Simio erzählte, dass die Bevölkerung schnell Tierschutzverstöße anprangere: Ganzjährige Anbindehaltung von Rindern, Kälberhaltung in Boxen, Kaninchen in engen Ställen, „da gibt es viel Empörung“, oft seien die Halter aber einfach überfordert, auch mit der Behandlung von kranken Tieren. „Sie sind oft am Limit.“

Dass Fleisch aus der ganzen Welt zu uns gekarrt werde, sei leider Gottes Wirklichkeit, so Dr. Martin Armbruster. Hierzulande liege die Selbstversorgungsquote in Sachen Schweinefleisch bei nur noch 50 Prozent. Gerade kleine Betriebe könnten sich keine neuen Ställe leisten, „wenn ein Landwirt den alten durch einen neuen Stall ersetzt, lohnt sich das nur mit mehr Tieren.“ Hier brauche es dringend mehr Förderung, so Armbruster. Hier einen gesellschaftlichen Umbau hinzubekommen sei wünschenswert, aber schwierig, wenn die Leute bei Aldi, Lidl oder Edeka billige Massenware kauften. Kritik kam aus der Runde daran, dass die Leute gerne viel Geld für das Katzenfutter ausgeben, aber nicht für gut produziertes Fleisch. Zudem seien die Grünen für viele Landwirte ein Schreckgespenst, hier brauche es dringend mehr Miteinander, so eine Tierschützerin aus Triberg. Im Kreis Rottweil funktioniert das schon länger sehr gut, das ist meine Erfahrung , „wir sprechen schon seit Jahren miteinander.“

Mehr Austausch, das war auch die Forderung von Dr. Wesselmann, gerade beim aktuellen Thema Schlachtung. Insgesamt war man sich einig, dass das Borchert-Papier eine riesige Chance ist, „endlich ist Geld im Spiel!“, freute sich Dr. Cornelie Jäger. Ein Teilnehmer, der sich vegan ernährt, wies auch darauf hin, dass man sehr wohl auch Wege ganz aus der Nutztierhaltung gehen könne, er nannte „Refarm“ als Beispiel.

Martina Braun betonte, dass gute Tierhaltung, also Weidehaltung, unbedingt besser gefördert werden müsse, auch, weil die Kulturlandschaften im Schwarzwald und auf der Alb durch Weidetiere entstanden sind und erhalten werden. Der Handel habe es im Griff, was in den Regalen liege, „macht mal die Billigpreissegmente weg!“ Ein Ziel, dass wir Grünen uns für die nächste Legislaturperiode gesetzt haben, gemeinsam mit allen Beteiligten an einem Tisch. Nur Fördergelder seien aber auch keine Lösung, so Martina Braun, wichtig sei auch die Wertschätzung der Landwirte. Und Dr. Jäger: „Wir müssen das Rad nicht neu erfinden!“ Als Schlusswort habe ich dann ein Statement aus der Diskussion aufgegriffen: „Mit dem Borchert-Papier sind die Instrumente im Prinzip vorhanden. Wir haben den Pfad, wir müssen ihn nur gehen.“