Wolfserwartungsland Baden-Württemberg: Und die Weidetierhaltung?
250 Interessierte tummelten sich am 1. Februar in der Josef-Merz Halle in Aichhalden, wo der Landschaftsentwicklungsverband gemeinsam mit dem Landesschafzuchtverband zu „Weidetierhaltung und Wolf – geht das?“ geladen hatte, und auch ich bin sehr gerne der Einladung gefolgt. Der Aichhaldener Bürgermeister Michael Lehrer moderierte – „eine Premiere“, wie er zugab, und freute sich über ein volles Haus.
Lehrer betonte, Baden-Württemberg sei „Wolfserwartungsland“ und gab das Wort zuerst an Kim Ebinger, Geschäftsführerin des Landschaftsentwicklungsverbands Mittlerer Schwarzwald, die in einer Kurzpräsentation aufzeigte, wie sich die hiesige Kulturlandschaft in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat – und wie wichtig es sei, dass weiterhin Landwirtschaft und Beweidung betrieben wird, „damit nicht alles zuwuchert“ – offene Flächen seien heimatstiftend, so Ebinger. Die Offenhaltungsmaßnahmen in der Schwarzwälder Topographie seien eine Herausforderung, die von der Politik besonders honoriert werden müssten. Es bestehe bei Landwirten und Schäfern ein Nachfolgeproblem.
Dr. Micha Herdtfelder von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) Freiburg war der zweite Impulsredner: Er referierte über die Situation der Wölfe in Europa, Verhaltensmuster der Wölfe und das Wolfsmonitoring, das die FVA derzeit durchführt. „Es gibt in Deutschland derzeit 60 Rudel, dreizehn Paare und 3 territoriale Einzeltiere“, so Herdtfelder. Der Großteil der Wölfe lebe in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen.
In Baden-Württemberg schätzt der Wolfs-Experte die Anzahl der Wölfe derzeit auf zwei, einer davon aus einem niedersächsischen Rudel bei Schneverdingen, der andere aus dem Calandarudel aus der Schweiz zugewandert. Rudel bestünden zumeist aus ca. acht Wölfen: Den Eltern, die ihr Leben lang zusammenblieben, dem neuesten Wurf und den Jährlingen, wobei die Jährlinge mit ein bis zwei Jahren das Rudel verlassen müssten. Zwei dieser Jährlinge streifen anscheinend gerade durch Baden-Württemberg. Wölfe könnten bis zu 70km pro Nacht zurücklegen und alle Tiere seien genetisch erfasst, sodass die Mär von „eingeschleusten“ Tieren nicht wahr sei. Auch sei von einem sich normal verhaltenden Wolf kein Übergriff auf Menschen zu erwarten, die Tiere seien sehr scheu. „Außer man füttert sie an – dann verhalten sie sich nicht mehr artgerecht.“ Wölfe seien hier in der Gegend vor Jahrhunderten ausgerottet worden, weil sie Menschen angegriffen hätten – Hauptgrund sei die Tollwut gewesen. Die heutige Situation sei jedoch eine andere.
Herdtfelder stellte heraus, dass ein Riß eines Schafes nach aktueller Definition – der Wolf ist nach EU-Recht streng geschützte Art – nicht als artfremd gilt. Erst wenn sich Wölfe wiederholt dieselbe Schafherde angriffen oder sich Menschen nähern, sei es durch Neugier, sei es durch Anfütterung, müsse man eingreifen und den Wolf „entnehmen“ – was nach §45,7 Naturschutzgesetz auch so gefordert sei – „entnehmen bedeutet letztendlich abschießen
Nach Herdtfelder hielt Anette Wohlfahrt, Geschäftsführerin des Landesschafzuchtverbands einen Vortrag: Sie stellte ein Projekt zum Herdenschutz vor, das der Landesschafzuchtverband zusammen mit Umweltschutzverbänden und internationalen Partnern betreibt: Man teste verschiedene Möglichkeiten, Nutztiere vor Wildtieren zu schützen – und deren Schwächen. So sei es im Schwarzwald nicht so einfach, die empfohlenen 1,20 Meter hohen Zaun zu installieren, schon gar nicht in Steillagen – und auch die Einbringung in den Boden sei nicht so simpel wie es auf dem Papier erscheint. Versuche mit Herdenschutzhunden und verschiedenen Arten von Zäunen seien nicht immer positiv verlaufen, der Aufwand sei sehr groß, die Kosten auch, und im Falle der Herdenschutzhunde sei sogar eine Schutzhütte vorgeschrieben, die ein Schäfer ja schlecht dem Hund hinterhertragen könne. Theo Lehman und Herbert Schaible, beides Schäfer aus der Region, nehmen am Pilotprojekt Weideschutz teil und berichteten anschaulich von Freud und Leid beim Stellen von Zäunen und Abrichten von Herdenschutzhunden. Die Schafe seien anfangs gar nicht begeistert gewesen, so Schaible.
Insgesamt sei die Situation sehr unbefriedigend – und vor allem sei die Versicherungsfrage nicht gelöst. Und da gehe es nicht um die paar gerissenen Schafe, die es 2017 gab. „Was passiert, wenn die Herde wiederholt ausbricht, auf die Straße rennt und einen Unfall verursacht? Da zahlt irgendwann keine Versicherung mehr!“ Dieses Problem hat auch unsere Grüne Landtagsabgeordnete Martina Braun aus Linach festgestellt, die nach den Vorträgen aufs Podium gebeten wurde. Als Landwirtin könne sie die Argumente absolut nachvollziehen, sagte Martina. Die Politik habe das erkannt – aber wie so oft gebe es einen Zielkonflikt. Diesen zu lösen sei die Aufgabe in der nächsten Zeit. Immerhin habe schon die Weidezaun- und Herdenschutzhund-Versuchsreihe stattgefunden, für die die Grünen 200.000 Euro aus ihren Fraktionsgeldern bezahlten – weitere 300.000 werden für die nächsten 3 Jahre bereitgestellt. Und ganz unabhängig vom Wolf sei das größte Problem tatsächlich die Versicherungsfrage – nicht für den Riss eines Schafes, dafür gebe es einen Ausgleichsfonds. Sondern für den von Wohlfahrt angesprochenen Fall, dass Sach- oder gar Personenschaden entstehe.
Kreisjägermeister Otmar Riedmüller sprach sich für eine Bejagung des Wolfes aus, schließlich zahle man viel Jagdpacht. „Der Wolf soll uns nicht das Wild wegfressen.“ Heimliche Abschüsse nach dem Drei-S-Prinzip „Schießen, Schippen, Schweigen“ kämen für die Jägerschaft selbstverständlich nicht in Frage.
Auch Kreisbauernverbandschef Manfred Haas sieht den Wolf kritisch. Er sei schon gefragt worden, ob Kindergartenkinder weiter draußen spielen dürften. Regionalgeschäftsführerin Katharina Baudis vom BUND hielt dagegen: „Der Wolf gehört nach EU-Recht zu den geschützten Arten und ist Teil der Artenvielfalt“. Sie verstehe die Sorgen der Weidetierhalter und natürlich müsse da geholfen und Geld investiert werden – „da ist die Politik gefragt.“
In der Fragenrunde ging es zeitweise heiß her. Moderator Lehrer bat um Sachlichkeit, Polemik helfe nicht weiter. Dies wurde von den allermeisten Zuhörern auch eingehalten, und einige „Märchen über den Wolf“ konnten ausgeräumt werden. Der Auftrag der Besucher ging ganz klar an die Politik, in punkto Herdenschutz und Versicherungsfragen mehr zu tun.
Und oh Wunder, auch der AfD-Abgeordnete Emil Sänze hat sein Herz für Wölfe oder besser gesagt gegen Wölfe entdeckt. Seine einfache Formel: „Abschießen!“. EU- und Bundesrecht stört ihn da wenig.
Insgesamt wäre die Diskussion eine noch bessere gewesen, wenn nicht immer wieder manch eine/r die alten „Kinder werden demnächst vom Wolf gefressen“ – Märchen in den Saal geheult hätte. Dieses Schreckensszenario stimmt einfach nicht mit der heutigen Wirklichkeit überein – es gibt keine tollwütigen Wölfe und somit auch keine Kindergarten-Massaker-Gefahr.
Die beiden brennenden Fragen, die dringend gelöst werden müssen, sind für mich die Versicherungsfrage und die Frage nach bestmöglichem Herdenschutz. Da müssen wir, da werde ich weiter daran arbeiten.
Hier noch ein paar Impressionen des Abends: